Happy Kwanzaa!
Während sich die westliche Welt um den Weihnachtbaum versammelt, Weihnachtslieder singt und Plätzchen schmaust, begeht die schwarze Bevölkerung Amerikas alljährlich zwischen dem 26. Dezember und 01. Januar ihr ganz eigenes Fest der Besinnlichkeit. Kwanzaa beruft sich auf eine über tausendjährige Tradition west- und südafrikanischer Erntefeste und entspringt dem Kisuaheli-Ausdruck matunda ya kwanza, was übersetzt die erste Frucht der Ernte bedeutet. Zuerst nur im eingeweihten Kreise schwarzer Gemeinden praktiziert, erfreut sich Kwanzaa heute wachsender Beliebtheit. Rund 18 Millionen Menschen feiern das Fest in dieser Woche rund um den Globus, unter ihnen auch Menschen ohne afrikanischen Background. In den USA wird seit 1997 sogar eine Sondermarke zum Kwanzaa-Fest herausgebracht.
Symbol eines erwachenden schwarzen Selbstbewusstseins
Ins Leben gerufen wird die noch recht junge Tradition im Jahre 1966 von Dr. Maulana Ron Karenga, heute Professor am Institut für Schwarze Studien an der California State University und profilierter Vertreter des Schwarzen Nationalismus. In einer Zeit des Kampfes um überfällige Bürgerrechte und einem erstarkenden schwarzen Selbstbewusstsein ruft er ein neues Brauchtum ins Leben. Dieses soll, in Abgrenzung zur kulturellen Behauptung des herrschenden Unrechtsystems, das afrikanische Erbe neu beleben. Im Gegensatz zu Weihnachten ist Kwanzaa aber kein religiöses Fest, obwohl es durchaus spirituelle Züge trägt. Im gemeinsamen Ritual wird vielmehr das Gemeinschaftsgefühl gestärkt und schwarzes Selbstbewusstsein demonstriert.
Auch afro-amerikanische Künstler suchen Ende der 60er Jahre nach Ausdruckformen des Black Pride. So nimmt Herbie Hancock etwa den Kisuaheli-Namen Mwandishi (dt. Komponist) an und gibt damit ein politisches Statement zum Diskurs um schwarze Integration oder selbstbewusste Segregation ab. Ende 1969 entsteht das Album Kawaida (dt. Tradition) u. a. in Zusammenarbeit mit James Mtume, einem Schüler Dr. Karengas, der 1983 mit Juicy Fruit einen Disco-Funkhit landen wird. Aus seiner Feder stammt das Titelstück des Albums, das sich mit den sieben Leitgedanken Kwanzaas auseinandersetzt.
Die sieben Prinzipien von Kwanzaa
„What’s the news?“ begrüßt man sich dieser Tage in den Amerikanischen Black Communities. Und an jedem der sieben Festtage wird diese Frage mit einem anderen Kwanzaa-Prinzip beantwortet: umoja (Einheit von Familie, Gemeinschaft und Nation), kujichagulia (Selbstbestimmung), ujima (Verantwortung für die Gemeinschaft), ujamaa (wirtschaftliche Kooperation), nia (persönliche Zielsetzung in Harmonie mit der Gemeinschaft), kuumba (Kreativität für eine schönere Umwelt) und imani (Vertrauen, dass eine bessere Zukunft geschaffen werden kann).
Jeder dieser Aspekte wird durch eine Kerze am Kinara symbolisiert, einem Kandelaber mit jeweils drei grünen und roten sowie einer schwarzen Kerze, stellvertretend für die Farben Afrikas. Diese finden sich nun auch in vielen Gemeindehäusern, Kirchen und Häuser wieder, welche mit festlichen Symbolen, afrikanischem Kunsthandwerk und traditionellen Stoffen geschmückt sind. Auch afrikanische Tänze und Esskultur erwecken altes und neu geschaffenes Brauchtum zum Leben. „Harambee“ oder „Let’s pull together“ lautet der übliche Trinkspruch, wenn der Unity Cup umhergereicht wird, dessen letzter Schluck in Andenken an die Ahnen ausgeschüttet wird.
Der Tag der inneren Einkehr
Der letzte Tag von Kwanzaa, der 01. Januar, ist der Tag der Meditation. Nach sechs ausgelassenen Tagen in fröhlicher Gesellschaft, mit Tanz und gutem Essen widmet man sich nun der inneren Einkehr. Jetzt geht es ans Eingemachte, da man sich mit den grundlegenden Fragen des Seins auseinandersetzt:
Wer bin ich?
Bin ich wirklich der, der ich behaupte zu sein?
Und bin ich der, der ich meiner höchsten Vorstellung nach sein sollte?
Alle sind eingeladen, persönliche und übergeordnete Ziele selbstkritisch zu hinterfragen und, wenn nötig, seinen Fokus neu auszurichten.
Wieviel Kwanzaa steckt in Dir?
Obwohl manche den künstlichen Charakter dieses jungen, bewusst initiierten Brauchtums kritisieren, ist Kwanzaa ein wichtiger Beitrag afro-amerikanischen Selbstbewusstseins. Denn nur wer sich selber kennt – seine Wurzeln und seine Ziele – kann sich als bewusster und gestaltender Teil eines Großen Ganzen begreifen. Und warum auch nicht alte Zöpfe abschneiden und neue Traditionen begründen, wenn sie dem Leben dienen?
Vielleicht werde ich das Jahresende für ein wenig Kwanzaa nutzen. Um eine Standortbestimmung vorzunehmen und meinen Kompass neu zu justieren. Und um mich zu fragen, ob ich der Schönheit diene und der höchsten Idee von mir und der Gemeinschaft, deren Teil ich bin.
In diesem Sinn:
Happy Kwanzaa!
Eure Annette